06.03.2014

Das Urteil des Landgerichts München I zur Schadenersatzklage von Claudia Pechstein – ein Sturm im Wasserglas?

Große Aufmerksamkeit hat die Entscheidung des Landgerichts München I in der Schaden-ersatzklage der Eisschnellläuferin Claudia Pechstein in den Medien hervorgerufen.

Tenor der Berichterstattung ist, dass die Entscheidung den Athleten einen großen Sieg beschert habe, weil sie in Zukunft nicht mehr gezwungen werden können, sich der Sport-schiedsgerichtsbarkeit zu unterwerfen.

Unterstützt durch die Stellungnahme des anwaltlichen Vertreters von Claudia Pechstein nach der mündlichen Urteilsverkündung titeln die Medien Schlagzeilen, die den Sachver-halt nur verkürzt wiedergeben. Danach ist von einer „Explosiven Niederlage“ bei der FAZ am 27.02.2014 zu lesen oder über einen „Sieg über starre Strukturen“, während die Süd-deutsche Zeitung mit der Überschrift aufwartet: „Ein Sieg für alle Athleten“. Der Tage-spiegel fasst am 27.02.2014 zusammen, dass mit der Entscheidung „ein kleines Erdbe-ben“ über die Sportgerichtsbarkeit hereinbricht.

Erstaunlich ist diese uneingeschränkte Wertung, weil das Urteil als erstinstanzliches Urteil noch nicht rechtskräftig ist und das Gericht keine allgemein gültige Aussage zu Athleten-vereinbarungen getroffen hat. Es entsteht der Eindruck, als würde mit dieser Entschei-dung das Sportrechtssystem ins Wanken geraten.

Grundsätzlich ist Voraussetzung für eine abschließende Bewertung einer gerichtlichen Entscheidung, dass das Urteil rechtskräftig ist. Eine Presserklärung des Gerichts kann dies nicht ersetzen. Schlussfolgerungen sind deshalb verfrüht.

Gleichwohl wird das Urteil als ein Sieg für die „geknebelten Athleten“ gegenüber den „mächtigen Funktionären“ und ihren Strukturen gefeiert. Das ist eine oft bemühte Meta-pher, die aber im olympischen Sport nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt.

Athletenvereinbarungen, die mit den jeweiligen Athletenvertretungen gemeinsam entwi-ckelt werden und den Zugang zu den ordentlichen Gerichten versperren, sind eben nicht grundsätzlich nachteilig für den Sportler und beschneiden ihn nicht in seinen Grundrech-ten. Die Schiedsgerichtsbarkeit ist durch unsere Prozessordnung und damit unter Geltung des Grundgesetzes der ordentlichen Gerichtsbarkeit gleichgestellt. Von vornherein gilt daher, dass die beiden Gerichtszweige keine juristischen und keine qualitativen Unter-schiede aufweisen.

Ein aktuelles Beispiel zeigt, dass die jetzige Diskussion in den Medien nicht objektiv ge-führt wird.

Zu den Olympischen Spielen in Peking 2008 wollte der Dreispringer Charles Friedek (aus seiner Sicht nachvollziehbar) noch auf den Zug zu den Olympischen Spielen 2008 auf-springen. Der Leichtathletikverband verweigerte einen Vorschlag zur Nominierung gegen-über dem DOSB, weil er nach Auffassung des Verbandes die Nominierungskriterien nicht erfüllt hatte. Dagegen wandte sich Charles Friedek vor dem Deutschen Sportsschiedsge-richt. Das Schiedsgericht gab Charles Friedek Recht und der Leichtathletikverband musste ihn gegenüber dem DOSB zur Nominierung für die Olympischen Spiele 2008 in Peking vorschlagen.

Der DOSB ist nicht verpflichtet, dem Vorschlag eines olympischen Spitzenverbandes zu folgen. Für die Nominierung der Athleten zu olympischen Spielen besitzt der DOSB aner-kanntermaßen die Nominierungshoheit. Infolge dessen kann es vorkommen, dass der Vorschlag des Verbandes und die Entscheidung des DOSB nicht übereinstimmen. So auch im Falle des Dreispringers Charles Friedek. Der DOSB hat sich gegen den Vorschlag des Verbandes entschieden und eine Nominierung abgelehnt.

Mit dem DOSB hat Charles Friedek keine Vereinbarung geschlossen, die ihn „gezwun-gen“ hätte, ein Schiedsgericht anzurufen. Er verfolgte seinen Nominierungsanspruch also vor den ordentlichen Gerichten und unterlag in zwei Instanzen mit der entsprechenden Kostenfolge!

Welche Gerichtsbarkeit war nun für den Athleten besser?

Aus Sicht des Athleten war die Entscheidung des Deutschen Sportschiedsgerichts ganz offensichtlich die bessere. Es kommt doch allein darauf an, ob man obsiegt oder unter-liegt.

Wird ein Athlet tatsächlich durch die Vereinbarung eines Schiedsgerichts seiner „Freiheits-rechte“ beraubt?

Wohl kaum, wenn man unserer Auffassung und anderer renommierter Sportrechtler folgt

(so auch Prof. Dr. Udo Steiner, SpuRt 2014, Seite 2 und Prof. Dr. Zuck, SpuRt 2014, Seite 5; aktuell zu der Athletenvereinbarung des Deutschen Olympischen Sportbundes zu den Olympi-schen Spielen in Sotschi 2014).

Der ordentliche Rechtsweg und die Schiedsgerichtsbarkeit sind gleichwertig. Die Vereinba-rung der Schiedsgerichtsbarkeit ist verfassungsrechtlich zulässig. Dabei ist besonders her-vorzuheben, dass die Frage der „Freiwilligkeit“ gerade keine Voraussetzung für die Wirk-samkeit einer Schiedsgerichtsvereinbarung ist. „Das von Claudia Pechstein apostrophierte Grundrecht auf Anrufung deutscher (staatlicher) Gerichte in „existentiellen Fragen“ gibt es nicht, so Prof. Dr. Zuck in dem zitierten, wissenschaftlichen Aufsatz.

Er kommt deshalb auch zu folgendem Ergebnis: „Die Befassung mit der hier nur als aktu-elles Beispiel herangezogenen DOSB-AV hat gezeigt, dass trotz des im Regelfall beste-henden erheblichen Ungleichgewichts der Vertragspartner der Abschluss einer solchen Athletenvereinbarung nicht an verfassungsrechtlichen Einwänden scheitert, soweit es um die DOSB-AV als solche geht.“

Nach der Reform der Zivilprozessordnung im Jahr 1997 mit Wirkung zum 01.01.1998 hat der Gesetzgeber das Wirksamkeitserfordernis der Freiwilligkeit in § 1025 Abs. 2 ZPO bei der Vereinbarung einer Schiedsgerichtsabrede ersatzlos gestrichen. In der Gesetzesbe-gründung hat der Gesetzgeber ausgeführt, dass die frühere Nichtigkeitsfolge zu weit gehe

(vgl. Bundesrat Drucks. 211/96 vom 22.03.1996, Seiten 109/110).

Es ist zutreffend, wenn im Einzelfall festgestellt wird, dass die Vereinbarung eines Schiedsgerichts nicht freiwillig erfolgt. Dies führt aber entgegen der Annahme der Medien und auch des Landgerichts München I nicht zur Unwirksamkeit der Schiedsgerichtsverein-barung per se. Es hat immer eine Einzelfallprüfung stattzufinden. Deshalb kann auch das Landgericht München I hierzu keine generelle Aussage treffen. Die Entscheidung kann nicht auf andere Athletenvereinbarungen übertragen werden und kann auch keine ande-ren Gerichte binden, selbst wenn sie rechtskräftig werden sollte.

Scheitert die Athletenvereinbarung nicht an der fehlenden Freiwilligkeit, ist deren Wirk-samkeit in jedem Einzelfall im Rahmen einer Inhaltskontrolle zu prüfen. Dabei ist die Ver-einsautonomie einerseits mit den Interessen des Athleten anderseits gegeneinander ab-zuwägen. Zwar hat sich das Landegericht München I auch mit dieser Frage auseinander-gesetzt. Es hat dabei aber die Vereinsautonomie gem. Art 9 GG nicht ausreichend und zutreffend gewürdigt.

Entscheidend ist nach unserer Auffassung, dass es zu der gebündelten Rechtsprechung des Sportsgerichtshofs in Lausanne (CAS) in internationalen Dopingverfahren keine Alter-native gibt. Wären hierfür nationale Gerichte oder nationale Schiedsgerichte zuständig, wäre nicht mehr gewährleistet, dass Dopingverstöße international gleichbehandelt wer-den. Das würde im Ergebnis dazu führen, dass der Anti-Doping-Kampf weiter erschwert würde. Diese legitime Begründung einer sogar „aufgezwungenen“ Schiedsgerichtsverein-barung hält einer Inhaltskontrolle auch juristisch stand (siehe Prof. Steiner und Prof. Zuck aaO.) und ist Ausfluss der grundgesetzlichen Vereinsautonomie. Der organisierte Sport hat ein institutionelles Interesse an der Gleichbehandlung von Dopingverstößen durch ein internationales Sportschiedsgericht.

Es kann keinesfalls im Interesse der sauberen Athleten sein, dass in Dopingverfahren na-tionale Gerichte entscheiden, die gleiche Sachverhalte ungleich behandeln. Deshalb stellt sich die berechtigte Frage, warum diese Entscheidung ein Sieg für die Athleten sein soll.